Tolis‘ Revanche

Roman von Guy Sproessél

Kapitel 1

Die Nacht war viel zu kurz gewesen, um sich wirklich wach zu fühlen. Draußen tröpfelte der kühle Frühjahrsregen von der Dachkante auf die Kiesel vor dem Haus. Als er aufgewacht war, hatte er mit zerknülltem Papier von Werbeprospekten seinen Ofen angeheizt. Sein Blick fiel aufs Thermometer und sagte ihm, dass 62 Grad Fahrenheit zu kühl war, um sich wirklich wohl zu fühlen. Früher wäre nach dem Aufwachen sein erster Griff zur Flasche mit ‚Black Label‘ gewesen, um sich innere Wärme zu verschaffen. Gestern waren die Warner Brothers zu Besuch gewesen. Sie hatten so wenig mit dem Film- und Mediengeschäft zu tun, als Sie sich auch von Irvings Kreationistenkirche am Eagle Way von Manassas fernhielten. Sie waren alle drei über 30 Jahre alt, vollkommen weltlich, hatten nie einen Abschluss an der Highschool gemacht. Aber mit ihrem Gebrauchtwagenhandel und einer Tankstelle verdienten Mack, Freddy und Rawling Warner genug Geld, um sich auf einem Erbgrundstück an der Centerville Road ein kleines, holzverkleidetes Haus teilen zu können. Sie waren wie er überzeugte Singles und sich als Brüder vollends genug. Ab und zu besuchten sie ihn in der Skystone Loop, wenn er Freizeit hatte, schauten sich gemeinsam ein Footballspiel oder ein Spiel der Virginia Cavaliers an. Eines musste er ihnen gleich klar machen: wenn, dann gab es bei ihm allenfalls alkoholfreies Bier oder Cranberry mit Soda.

An so einem trüben Morgen fiel es ihm immer schwer, sich wieder seinem Job zuzuwenden. Er hatte als Lieutenant im Manassas Police Departement viel mit Schwierigkeiten zu kämpfen, die aus den Konflikten zwischen den weißen und der farbigen und jüdischen Bevölkerung entstanden. Manassas hatte immer schon ein Problem mit Asiaten, Farbigen und Juden. Nur mochte das heute niemand mehr an die große Glocke hängen. Als kleine Oststaatenstadt mit ihren 42.000 Einwohnern im Dunstkreis von Washington D.C. tickten die Uhren generell anders. Hier fanden auch zwei wichtige Schlachten der Konföderierten im Sezessionskrieg 1861-1865 statt. Beide Schlachten wurden 1862 am Bull Run geführt und gegen die Unionisten gewonnen. Die Unionstruppen vom Spatenkönig Robert E. Lee wurden nach Washington zurückgedrängt. Und da viele Einwohner von Manassas immer noch an den Sieg vom 30. August 1862 glaubten, war Manassas im Norden von Virginia ein Hort von Rednecks geblieben. Wer nicht weiß war oder sogar Jude, der gehörte hier nicht dazu. So war sein Job immer ein Ritt auf des Messers Schneide, vor allem wenn seine Leute aus dem Manassas Police Departement Recht und Gesetz auch für die Nicht-Weißen durchsetzen mussten.

Nach einem Blick auf die graue Wolkendecke, die vom Potomac in Richtung Nordwesten zog und die warme Atlantikluft, die von den Keys und von Florida nach Norden strömte die nasskalten Regenwolken vor sich her schoben, stand er auf und ging in sein schmuckloses Badezimmer. Er stand vor seinem rostigen Spiegel und rasierte seinen Bart mit einem altertümlichen Rasiermesser, das er noch von seinem Großvater geerbt hatte, wusch seinen Kopf, den Hals und den Oberkörper. Dann reinigte er die Edelstahlschüssel seines Waschbeckens und trocknete sich tupfend mit dem Frottiertuch ab. Auf ein Rasierwasser verzichtete er generell. Dann ging er wieder in seinen Wohn- und Schlafraum an den Kleiderschrank und holte eine frische Polizeiuniform hervor und kleidete sich an. Draußen hörte er schon den Motor eines Polizeiautos, das sich vor sein Haus stellte. Wenn er fertig gefrühstückt hatte (die Kaffeemaschine röchelte schon eine Weile vor sich hin), dann würde er noch einen Rundgang durch seine Wohnung machen, die Fenster prüfen und die wenigen Blumen auf den Fensterbrettern gießen, bis er vor das Haus trat, seine Mütze unter den Arm geklemmt und sich die Regentropfen von der Dachkante auf seinen braunen, nackten Schädel tropfen ließ. Dann ging er zu dem Wagen und stieg auf der Beifahrerseite ein. Ein junger Detective von der Crime Investigation Division, Robert Hanson, wartete bereits mit laufendem Motor.


Noch während Hanson losfuhr, begrüßten Sie sich kollegial und dann fing Hanson zu erzählen an, was er an Neuigkeiten zu erzählen hatte.

„Haben Sie schon gehört“, fing Hanson an, während er ihn von der Seite betrachtete, „im Cave’s Inn hat es heute Nacht einen Toten gegeben.“

„Welche Hautfarbe?“

„Ein Brauner“, antwortete Hanson, der weiß und noch keine fünfundzwanzig Jahre alt war.

„Das heißt ‚Farbiger‘ – oder was meinten Sie?“

„Nein, kein Farbiger. Ein Nationalist. Wurde offensichtlich direkt vor dem Lokal von Kubanern überrascht und niedergeschossen. Ein drive by, wie in alten Zeiten.“

Tolis fand die Wortwahl für einen fünfundzwanzigjährigen etwas gewagt, vermutlich hatte er sich das in den alten Krimiserien im Fernsehen abgeschaut.

„Zeugen?“

„Der Türsteher und zwei Frauen, die gerade in den Laden wollten. Gestohlen wurde nichts. Namen und Adressen hat Bremmerton, der nachher auch zum Briefing kommen wird.“

Inspector Louis E. Bremmerton war selbst ein echtes Redneck und wäre er alleine, würde er alles daran setzen, den zur Strecke zu bringen, der den weißen Nationalisten umgebracht hatte. Noch dazu sollen es die Kubaner gewesen sein, die aus D.C. herüber kamen, um das Gebiet zwischen Appalachen und dem Potomac River zu übernehmen.

„Haben wir Leute bei den Kubanern, die mit uns sprechen würden?“

„Nope“, sagte der Fahrer trocken.

„Also werden wir mit den Leuten reden müssen, die wir schon kennen.“


Als sie auf den Parkplatz des Manassas Police Departements einbogen, hatte der Nieselregen aufgehört. Tolis stieg aus und ging zu dem Imbiss hinüber, über die Kreuzung der Parkview Avenue und holte neben seinem Lunchpaket auch eine Schachtel Zimtdonats.

„Morgen Leute“, sagte er, als er ins Büro ‚Crimes against persons‘ der Manassas Crime Investigation Division kam. Die Kollegen an ihren Tischen drehten sich um und grüßten zurück. Einige von ihnen salutierten ganz leger sitzend und wortlos.

„Wer arbeitet am Mord vor dem Cave’s Inn?“

Ein etwas beleibter Inspector, namentlich Louis E. Bremmerton, stand auf und hob die Hand.

„Mitkommen.“

Lieutenant Reginald Tolis hatte am südlichen Rand des Großraumbüros ein eigenes Büro, welches durch eine Glasfront einsehbar war, solange die Jalousien aufgezogen waren.

„Lieutenant“, sagte Inspector Bremmerton höflich, als er eintrat und die Tür hinter sich schloss.

„Was wissen wir?“

„Das Opfer, Ralph Denner, Alter 38, bekannt als der Anführer der Manassas Melicia, einer Horde ewig gestrigen aus dem Bull Run, kam gerade aus dem Cave’s Inn, als eine schwarze Limousine vorbei fuhr, aus der vom Beifahrersitz und aus dem Fond auf ihn geschossen wurde. Denner war sofort tot, der Türsteher hatte alles mit angesehen und hat eine Aussage gemacht.“ Bremmerton blickte auf seinen Notizblock. „Der Türsteher ist ein gewisser Elias Herbert, 42 Jahre, hat gleich die 9-1-1 gerufen. Denner wurde von vier Kugeln getroffen und war schon tot, als die Ambulanz eintraf.“

„Was wissen wir noch über diesen Denner?“

„Nationalist, hat viele Vorstrafen, die meisten verjährt, ist stadtbekannt, führt die Manassas Melicia mit rauer Hand, was ihm mehrfach Anzeigen wegen Körperverletzung eingebracht hatte. Die Anzeigen wurden jedes mal wieder zurückgezogen. Ansonsten ein Rassist und Großmaul, wie es im Buch steht.“

Tolis strich sich über die braune Haut seines nackten Afroschädels.

„Also, nicht, dass man ihn unbedingt vermissen würde?“

„Ein paar werden ihn wohl rächen wollen. Der Türsteher gab uns die Information, dass die beiden Schützen in der Limousine Kubaner gewesen seien.“

Lieutenant Tolis konnte sich gut vorstellen, dass ein bewaffneter Krieg zwischen durchgeknallten Milizionären und kubanischen Exilanten nicht gerade das war, was Manassas brauchte.

„Wissen wir wo sich die Milizionäre aufhalten?“

„Ihr Lager haben sie wohl am Bull Run südlich von Buckhall im County.“

„Wie ermutigend“, sinnierte Tolis.

„Gut. Ich werde ein paar Anrufe machen“, sagte Tolis als er sich hinter seinem Schreibtisch aufrichtete und Inspector Bremmerton gegenüber eine Geste machte, dass er nun wegtreten könne. Als Bremmerton die Tür hinter sich geschlossen hatte, blätterte Tolis schon in seinem kleinen, altertümlichen Telefonverzeichnis, das aus Karten an einem Rotor befestigt bestand. Er suchte die Nummer von Pater Peter B. Collins von der All Saints Catholic Church heraus und wählte.

„Hier Tolis. Guten Morgen, Pater.“

„Guten Morgen, wo brennt’s denn?“

„Kennen Sie Kubaner unter Ihren Schäfchen?“

Am anderen Ende herrschte ein paar Sekunden Schweigen.

„Worum geht es denn?“

„In der Nacht hat jemand Ralph Denner bei einem drive by erschossen. Angeblich sollen es die Kubaner aus D.C. gewesen sein.“

Schweigen. Seufzen. Mehr war nicht zu hören.

Nachdem er sich vergewissert hatte, dass Pater Collins nicht Willens oder in der Lage war, mehr für ihn zu tun, rief er Inspector Bremmerton und Inspector Preston zu sich in sein Büro.

„Bringen Sie mir diesen Türsteher vom Cave’s Inn und die beiden Frauen her, damit wir sie erneut befragen können.“

Die beiden nickten artig und verschwanden wieder. Lieutenant Reginald Tolis zog seine Uniformjacke wieder an und ging zu seiner morgendlichen Konferenz der Division-Chiefs bei Chief of Police Berny Haseldorf II. und Captain Lucas D. Bensson, seinem Stellvertreter. Chief Haseldorf II. war Zivilist und vom Stadtrat von Manassas gewählt, Captain Lucas Bensson war der ranghöchste Polizist in der Stadt. Beide waren bereits über 50 Jahre alt und über ihre Arbeit ergraut. Tolis, als einziger farbiger Polizeioffizier der Stadt und Division-Chief von Manassas Investigation Services, hatte inzwischen das Stadium erreicht, dass man an seiner Glatze nicht mehr die Dienstjahre ablesen konnte.

Ebenfalls im Raum saß Lieutenant Ingrid Bliss von der Division „Animal Control and Community Services“. Sie war im gleichen Alter wie Reginald Tolis, bereits zweimal geschieden, aber trotzdem ausgesprochen attraktiv für ihr Alter.

„Guten Morgen, Herrschaften“, begann Berny Haseldorf II., während er sich sein schwarzes Uniformhemd über seinen beleibten Körper strich.

„Sie dürften inzwischen mitbekommen haben dass man heute Nacht unseren größten Unruhestifter und Anführer der Manassas Melicia vor dem Cave’s Inn erschossen hat.“

Berny Haseldorf II. blickte erwartungsvoll zu Reginald Tolis.

„Dem ist so und mir vorliegende Informationen besagen, dass es Kubaner gewesen sein sollen – was nicht stimmen muss. Ich habe inzwischen schon zwei Mann losgeschickt, die unmittelbaren Zeugen der Tat heranzuschaffen, damit wir sie erneut befragen können. Der forensische Bericht steht noch aus, ebenso was die Spurensicherung zu bieten hat.“

„Wann wird damit zu rechnen sein?“, wollte Captain Bensson wissen.

„Wird wohl um die Mittagszeit herein kommen.“

„Gibt es sonst noch etwas?“, wollte der Chief of Police wissen.

„Ich habe schon mit den Katholiken gesprochen. Weil, wenn, dann sind die Kubaner wohl überzeugte Katholiken. Aber da konnte man mir leider nicht weiterhelfen.“

„Das ist nicht viel“, kam es von Ingrid Bliss.

„In der Tat. Ich kann im Moment auch alles und gar nichts als Motiv annehmen. Und, ob es wirklich Kubaner gewesen sind, wissen wir ja auch nicht“, erklärte Tolis.

Chief Berny Haseldorf II. wandte sich an Bensson.

„Ich möchte, dass wir erst einmal die Streifen in der Stadt verdoppeln. Holen Sie sich ruhig noch Leute vom County hinzu.“

Captain Bensson nickte stumm.

„Und Sie, Ingrid, schauen Sie sich in der Community um, ob Sie irgendwo das Gras wachsen hören. Ich bin ab sofort Tag und Nacht zu erreichen“, verkündete Lieutenant Reginald Tolis.


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