Tolis‘ Revanche (2)

Kapitel 2

Als Tolis in sein Büro zurück kam, sah er wie Inspector Bremmerton eifrig telefonierte. Da Preston nicht an seinem Platz war, schien der unterwegs zum Türsteher zu sein. Wenn es zu einer Schlacht kommen sollte, dann hatte er nicht genug Leute. Er würde auf die Virginia State Police zurückgreifen müssen. Das Prince William County hatte zwar seinen Sitz in Manassas, trotzdem war Manassas eine kreisfreie Stadt. Und der Stadtrat hatte finanziell zu kämpfen, um all die Löcher zu stopfen. Manassas hatte im Nordwesten, im Stadtteil Bull Run, viele neue Siedlungen und war jetzt auf über 42.000 Einwohner angewachsen. Aber Straßen, Infrastruktur und was dazu gehörte, fraß sehr viel Geld auf. Sie waren im gesamten Police Departement nur etwas über fünfzig Leute, einschließlich der Streifenpolizisten. Er hatte nur den jungen Detective Hanson, Inspector Bremmerton und Preston, der in zwei Jahren aber in Pension gehen würde. Bis dahin musste Hanson seine Prüfung zum Inspector geschafft haben und ein neuer Detective von der Akademie musste eingearbeitet sein. Captain Bensson hatte mehr Leute zur Verfügung, was aber nicht hieß, dass er die alle für die Investigation Division einsetzen konnte. Viele waren einfache Streifenpolizisten, die aber für die Kontrolle der Stadt ebenfalls wichtig waren.

„Hanson“, rief Tolis ins Großraumbüro. „Kommen Sie mit, wir machen einen Ausflug“.

Robert Hanson, den alle nur Bill nannten, schien sich zu freuen und hüpfte regelrecht von seinem Bürostuhl auf und wedelte mit den Autoschlüsseln.

„Ich werde selbst fahren. Sie machen den Funk“, entschied Tolis. „Wir werden ins Bull Run nach Buckhall fahren und die Milizionäre besuchen.“

Lieutenant Reginald Tolis konnte beobachten, wie bei Detective Hanson die Stimmung umschlug und er einen ängstlichen Blick bekam. Angst war durchaus positiv, wenn die Amygdala Glutamin ausschüttete und den Menschen insgesamt wachsamer machte.

Am Fahrzeug angekommen, öffnete Tolis den Kofferraum und holte die Schutzwesten heraus und ebenso die Benelli Tactical Shotgun, mit der man Widersacher auf Abstand halten konnte. Auch wenn keine Gummigeschosse damit verschossen wurden.

„Ihre Waffe und den Schlagstock haben Sie auch dabei?“

Hanson nickte ängstlich und hielt seine Beretta hoch.

„Durchladen und sichern“, befahl Tolis.


Auf der Grand Avenue war alles ruhig. Für eine kleine Stadt hatte Manassas breite Straßen. An der Center Street mussten sie an der Ampel warten und sahen wie ein Güterzug über die Brücke an der Unterführung fuhr, auf der die Bahnlinie von Washington D.C. nach Baltimore führte. Die Unterführung hatte man erst vor zehn Jahren gebaut. Bis dahin gab es eine Schranke, an der man bis zu einer halben Stunde warten musste. Hinter der Unterführung wurde die Grand Avenue zur VA-234, wo sie links auf die Wellington Road abbogen. Viel Grünfläche zu beiden Seiten, wo auf der rechten Seite Supermärkte mit ihren riesigen Grundstücken und einzelne kleine Unternehmen, die aber weit gestreut waren. Auch wenn die Straße nahezu leer war, galten hier strikte 35 mph. An der Metz Middle School war sogar eine feste Geschwindigkeitskontrolle installiert. In Hastings, am östlichen Rand von Manassas, dann die neu gebauten Wohnblocks, die einen neuen Stadtteil bildeten und wo es auf der Route 294 als Hastings Drive weiter nach Buckhall ging. Hier draußen war schon Prince William County, wo die Manassas Police aber kein Hausrecht mehr genoss. Tolis wusste das. Er durfte also nur Fragen stellen, auch wenn er darauf vermutlich keine Antworten bekam. Hinter Buckhall ging es rechts ab zu einem Naherholungsgebiet mit einer weiteren kleinen Siedlung von nicht einmal hundert Einwohnern. Von hier aus führte eine Schotterstraße tiefer in den naturbelassenen Wald hinein. Auf einmal wurde eine Toreinfahrt sichtbar, und ein militärischer Zaun mit Stacheldraht obendrauf. Sie stoppten vor dem Tor mit einem Wachhäuschen auf beiden Seiten. Ein Mann im Camouflage trat aus dem Häuschen und kam mit einem vorgehaltenen Schnellfeuergewehr auf sie zu. Tolis ließ auf beiden Seiten die Scheiben herunter gleiten und wies Hanson an, den Zeigefinger nur auf dem Sicherungshebel ruhen zu lassen.

„Wir wollen mit Eurem Verantwortlichen sprechen“, sagte Tolis zu dem Mann in lauter Stimme, der noch fünf Meter von ihnen entfernt war.

„Wieso? Das hier ist freies Land. Wer zum Teufel denken Sie, wer Sie sind?“

Das Gesicht des bärtigen Mannes strahlte eine verbissene Feindseligkeit aus.

„Euer Boss ist gestern auf meinem Land erschossen worden. Ich bitte um ein wenig mehr Respekt.“

Der Mann, der um die fünfzig Jahre alt sein mochte, spuckte vor dem Polizeiauto auf den Boden und griff an seiner Schulter zum Mikrofon seines Funkgeräts.

„Hier ist ein Nigger vom Manassas Police Department, er will den Verantwortlichen sprechen.“

Es dauerte ein paar Sekunden, dann antwortete jemand.

„Wir unterhalten uns nicht mit Niggern.“

„Ich bin der Chief of Investigation“, rief Tolis, während er seine Marke hoch hielt, „und ich bin gekommen, um Ihnen mein Beileid auszusprechen und mich mit Ihnen zu unterhalten!“

Der Mann im Camouflage trat näher an Tolis heran, ließ sein Gewehr sinken und blickte auf die Marke.

„Er sagt, er sei der Chief von sonst was.“

„Er soll warten“.

Während der Wachposten mit seiner HK, den Lauf nach unten gerichtet, mit dem Zeigefinger am Sicherungshebel vor ihrem Polizeiauto stand und Tolis geduldig seine Polizeimarke nach oben aus dem Fenster hielt, warteten sie schweigend auf den Ausgang der Situation.

Dann kam plötzlich auf der anderen Seite ein Toyota Pickup aus dem dicht bewaldeten Gelände. Er stoppte vor dem Tor auf der Innenseite. Auf der Beifahrerseite stieg ein Mann, ebenfalls im Camouflage aus und auf der Fahrerseite zeigte sich ein Mann mit Jeans, Schlangenlederstiefeln, einem grellweißem Unterhemd und Muskelpaketen an den Oberarmen, die größer als Tolis‘ Unterschenkel waren. Der Mann im Camouflage ging zu dem Wachhäuschen auf der anderen Seite und öffnete ein Kästchen und tippte einen Zahlencode ein, dann öffnete sich das Tor. Der Fahrer stieg wieder ein und der Wagen preschte nach vorne und blieb neben Tolis Fenster an der Fahrerseite stehen.

„Was wollen die Nigger von uns?“, rief er durch das offene Seitenfenster, ohne Tolis auch nur einmal anzusehen.

„Reden, was vor dem Cave’s Inn geschehen ist?“

Tolis ließ sich durch die Muskelpakete nicht beeindrucken.

„Reden? Wir haben keine Zeit zum Reden!“, sprach der Muskelmann mit dem Spinnennetz-Tattoo am Hals. „Wir bereiten uns auf einen Krieg vor.“

„Gegen wen wollen Sie denn in den Krieg ziehen?“, fragte Tolis mit vollkommen ruhiger und selbstsicherer Stimme.

„Gegen alle Nicht-Weißen, gegen die Juden, die verfluchten Kubaner.“

„Kubaner?“, fragte Tolis zurück.

„Man hat uns gesagt, dass es Kubaner aus D.C. gewesen seien, die sich mit den D.C. Black zusammen getan haben.“

„Wer hat das gesagt? Elias Herbert?“

„Was geht Sie das an?“

„Sind Sie jetzt das Gesetz?“, fragte Tolis mit spöttischem Grinsen. Dann wurde er plötzlich ernst. „Mein Job ist es, den oder Mörder von Denner zu finden und zu fassen, dann wegen Mord anklagen zu lassen und ihn der Justiz zukommen zu lassen. Dazu brauche ich keinen Krieg in der Stadt und das County braucht das auch nicht.“

Der Muskelmann spuckte vor dem Polizeiauto aus und ließ die Fenster wieder hoch. Dann legte er den Rückwärtsgang ein und schoss rückwärts wieder hinter das offenstehende Tor, welches von dem Camouflage-Mann sofort geschlossen wurde.

„Und jetzt?“, fragte der vollkommen eingeschüchterte Detective Hanson.

„Jetzt? Jetzt machen wir unsere Arbeit.“


Eine Stunde später waren Tolis und Detective Hanson in Burke, Virginia vor dem Springfield Police District. Tolis erkundigte sich am Tor danach, wo sich die Besucherparkplätze befanden und ließ sich zu einem Platz im Schatten dirigieren. Dann stiegen sie aus, legten Ihre Westen ab und gingen in das kühle Gebäude. Am Empfang meldeten sie sich an und gaben ihre Berettas ab.

„Chief Lucas“, sagte der gedrungene bärtige Mann in Uniform, als er von seinem Schreibtisch aufstand.

„Lieutenant Tolis und das ist Detective Hanson.“

„Was kann ich für Sie tun?“

„Haben Sie Probleme mit den D.C. Black?“

Chief Lucas zog überrascht die Augenbrauen hoch.

„Wir hatten in der Nacht einen drive by, bei dem der Chef unserer örtlichen Milizionäre vom Bull Run getötet wurde.“

„Oben im Nordwesten?“

„Nein, Downtown, vor dem Cave’s Inn. Das im Nordwesten ist nur ein Stadtteil von uns. Die Milizionäre halten sich bei Buckhall im Wald am Bull Run auf.“

„Schon mit der State Police gesprochen?“

„Nein, ich habe meine eigene Truppe. Bei der Spurensicherung und dem Coroner-Service greifen wir meist aufs County zurück.“

„Und was ist jetzt mit den D.C. Black?“, wollte Lucas wissen.

„Wir waren gerade bei den Milizionären und deren Ansicht ist, dass es die D.C. Black und die Kubaner gewesen sind, die mit den D.C. Black kooperieren.“

„Also, hier bei mir nach Springfield ist noch nichts durchgesickert.“

Es herrschte einige Sekunden betretenes Schweigen.

„Aber ich werde meine Ohren auf alle Fälle offen halten.“

„Dann darf ich mich im Namen des Manassas Crime Investigation Service bedanken.“

Lieutenant Tolis stand auf und Detective Hanson ebenfalls. Tolis gab Lucas die Hand.


„Glauben Sie ihm?“, fragte Hanson, als sie wieder im Wagen saßen.

„Das spielt keine Rolle. Das war jetzt eine vorbeugende Maßnahme“, dozierte Tolis.

„Sie meinen, die Manassas Melicia wissen, dass wir von ihren Absichten wissen – und Chief Lucas?“

„Er muss sich um die D.C. Black kümmern. Burke ist deren Hauptquartier.“

Tolis konnte genau sehen, wie es in Hansons kleinem Kopf ratterte.


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