Tolis‘ Revanche (5)


Kapitel 5

Hinter der Telefonnummer, die Bregg ihnen genannt hatte, verbarg sich, wie Detective-Inspector Daniel Preston heraus fand, eine Callgirl-Agentur mit Sitz in dem winzigen Kaff Bristow, südwestlich von Manassas. Er hätte sich dort nur mit einem Computer unterhalten können und eine Kreditkartennummer hinterlassen. Nach Überprüfung seiner Kreditwürdigkeit hätte man ihn dann unter seiner anrufenden Nummer zurückgerufen. Wer’s glaubt wird selig. Die einzige Möglichkeit also, hinter Mrs. Francis Sims Geheimnisse zu kommen, wäre ein Besuch an der Adresse des Anschlussteilnehmers gewesen. Preston stand auf und ging zu Lieutenant Tolis‘ Büro und klopfte an.

„Herein“.
„Ich habe gerade diese Nummer ausprobiert. Es wird von dem Mobiltelefon auf einen Anschluss in Birstow umgeleitet. Eine Callgirl-Agentur mit einem Telefoncomputer am anderen Ende. Aber ich habe auch die postalische Anschrift des Anschlussteilnehmers. Soll ich mit Bremmerton hinfahren und nach Mrs. Sims fragen?“
„In Ordnung“, sagte Tolis. „Aber nehmen Sie noch einen von Benssons Leuten zur Eigensicherung mit. Und denken Sie auch an Ihre Weste.“
„Wird gemacht.“ Preston schloss Tolis‘ Bürotür und kehrte zu Bremmertons Schreibtisch zurück, der gerade über einer Akte brütete.
„Komm, wir fahren nach Birstow, diese Francis Sims besuchen.“
„Kommt Tolis auch mit?“
„Nein, ich nehme noch einen von Benssons Leuten mit. Wir sollen auf unsere Eigensicherung achten.“
„Man weiß nie, was einem so begegnet“, murmelte Bremmerton und wuchtete sich aus seinem Schreibtischstuhl, der sich seufzend aufrichtete.


Die Fahrt nach Birstow führte sie in den verlassen aussehenden Süden von Birstow in die Milfordroad hinter dem Bahnübergang. Die Milfordroad war nur noch eine Schotterstraße entlang der Bahngleise und reichte nur bis zu einem weiteren Bahnübergang. Am Bahndamm dicke Erdgas-Tanks für die Beheizung der Bahnanlagen und links ging es auf ein Privatgrundstück, das durch eine hohe Mauer und ein breites Metallschiebetor umrandet war. Über der Mauer war Stacheldraht angebracht, als würde es sich um ein Hochsicherheitstrakt handeln.
„Was mögen die da nur versteckt haben?“, fragte Bremmerton vom Beifahrersitz und deutete auf den Stacheldraht auf der Mauerkrone.
„Den Telefoncomputer?“
„Siehst Du die Kameras da rechts?“, erwähnte Bremmerton, als sich plötzlich das Tor öffnete.
„Soll ich reinfahren?“, fragte Preston unsicher.
„Ich glaube, wir haben soeben eine Einladung zu einem Date bekommen“, antwortete Bremmerton.
Preston gab Gas uns fuhr durch das Tor auf einen asphaltierten Weg, der eine Linkskurve hinter Büschen und Sträucher machte. Die Situation insgesamt war schlecht einsehbar. Und weil er noch Tolis‘ Ermahnung im Hinterkopf hatte, auf Eigensicherung zu achten, blickte er zu dem jungen Polizisten von Benssons Truppe, dem offenbar genauso mulmig zu Mute war.
„Da links und dann rechts den Hügel hoch. Ich glaube das da oben ist es“, wies Bremmerton auf die Silhouette eines Flachbaus von enormen Ausmaßen, von dem außen nur eine dunkel getönte Glasfront zu sehen war. Preston steuerte das Polizeiauto auf einen der ausgewiesenen Besucherparkplätze und schaltete den Motor ab.
„Und jetzt?“, fragte er Bremmerton.
„Jetzt gehen wir rein.“


Sie hatten nicht damit gerechnet, Daniel Bregg hinter der verspiegelten Glastüre zu erblicken.
„Kommen Sie ruhig rein“. Bregg machte eine einladende Handbewegung. „Ich hätte nicht so zeitig mit Ihnen gerechnet.“
„Guten Tag. Wir sind wegen Mrs. Francis Sims hier“, sagte Bremmerton und Daniel Bregg fing an zu kichern.
„Dann sind Sie an der richtigen Adresse“, antwortete ihnen der smarte Muskelmann, dessen T-Shirt allein beim Anblick seiner Oberarmmuskeln zum Bersten gespannt war. „Ich führe Sie hin“, sagte Bregg in einem äußerst ungewohnt freundlichem Ton, den Sie von ihm nicht erwartet hätten. Aber irgend etwas sagte Preston, dass Bregg Ihnen unbedingt etwas unter die Nase reiben wollte. Bregg öffnete eine Tür in dem breiten Gang entlang der getönten Fensterfront und ließ sie eintreten.
„Wow!“, entfuhr es Bremmerton, als er in einen Raum trat, der wie die Schaltzentrale eines Kraftwerks aussah.
„Darf ich vorstellen: das hier ist Mrs. Francis Sims!“
„Was ist das hier?“
„Das ist die Steuerzentrale für ein Rechenzentrum mit einer künstlichen Intelligenz. Mrs. Francis Sims. Sie ist die Simulation eines Callgirls, die sich an die Bedürfnisse ihrer Kunden anpasst und Ihnen das bietet, was sie sich darunter vorstellen.“
Daniel Bregg grinste sie schief an.
„Mit irgend etwas muss sich doch ein braver Bürger seine Kröten für den Fiskus verdienen. Oder nicht?“
„Das heißt, dass es diese Mrs. Sims gar nicht gibt?“, fragte Preston zurück. „Und wer ist jetzt Ihr Alibi?“
Bregg setzte sich an einen der Computerbildschirme und tippte darauf los.
„Hier, sehen Sie selbst. Auf der Logdatei steht, dass ich von 18 Uhr 27 bis 23 Uhr 59 hier eingeloggt war. Und auf der dazugehörigen Kameraüberwachung können Sie sehen, wie ich genau, wie ich 332 Minuten hinter dem Bildschirm zubringe.“
Danach tippte Bregg weiter drauf los und man sah ihn in die Lobby des Gebäudes laufen, wo er sich an der Bar in der Lobby einen Drink mixte, zu dem geräumigen Sofa schlenderte, mit einer Fernbedienung einen Monitor an der Wand anschaltete und sich offensichtlich, wie der Ton es verriet, einen Krimi anschaute. Die Aufnahme endete im Schnelldurchlauf um 1 Uhr 53 am nächsten Morgen. Dann klingelte das Telefon.
„Noch Fragen?“
Breggs Grinsen war inzwischen zu einer spöttischen Grimasse geworden.


Detective-Inspector Daniel Preston wusste, dass man selbst bei forensischer Untersuchung Breggs Alibi nicht mehr vom Tisch wischen konnte. Es mochte zwar sein, dass Breggs Ambitionen auf die Führerschaft in der Manassas Melicia nicht von der Hand zu weisen waren, aber wenn er persönlich gewollt hätte, dass der ehemalige Anführer Ralph Denner das Feld für ihn räumen solle, dann hätte er schon den Mord in Auftrag geben müssen. Und ihm das nachzuweisen, würde doch eine Menge zusätzlicher Arbeit kosten. Frustriert fuhren Preston und Bremmerton zurück nach Manassas ins Police Department.
„Und, habt Ihr Mrs. Sims kennen gelernt?“
Preston sarkastisches Lachen sagte eigentlich alles.
„Wir haben uns vorführen lassen!“, erwiderte er Lieutenant Tolis.
„Aber so was von!“, bestätigte Bremmerton. „Er hat uns Mrs. Sims vorgeführt. Das da ist ein ganzes Rechenzentrum und Mrs. Sims ist nichts weiter als eine Computer-Simulation …“
„… und er konnte uns die Logdateien zeigen, und ein Video, wie er vor dem Bildschirm sitzt und dort arbeitet. Dieser Bregg ist mit allen Wassern gewaschen!“, fügte Preston hinzu.
„Und so was von aalglatt! Wie mit Engelszungen hat er plötzlich mit uns geredet!“
Lieutenant Reginald Tolis hörte sich das an, während er mit dem Hintern auf Prestons Schreibtischrand saß und klopfte mit seinem Kugelschreiber auf die Tischplatte.
„Dann müssen wir wohl unsere Hausaufgaben machen. Weitermachen“, sagte Tolis und stand auf, um in seinem Büro zu verschwinden. Er zog sogar die Jalousien zu.


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