Tolis‘ Revanche (4)

Kapitel 4

Francis Pearl saß im Stadtteil Manassas-Park in der großen Mall in einem Café und trank aus ihrem Glas mit Cubana-Flip. Ihr Smartphone lag vor ihr und sie wartete schon über eine Stunde auf ihren Freund Daniel Bregg. Sie war bestimmt nicht nur wegen seiner guten Figur mit ihm zusammen, denn die kam nur von den Hormon-Tabletten, die er schluckte. Typ Süchtiger Bodybuilder. Nein, Bregg hatte Macht und Macht war etwas, was Frauen wie sie anzog, wie Motten das Licht. Wenn er mit ihr im Bett war, war Sex für ihn nur erweiterter Kraftsport. Bankdrücken hätte ihn vermutlich genauso befriedigt.

Sie wollte gerade von ihrem Barhocker rutschen, als sie Daniel endlich auf sie zukommen sah. In der Hand hielt er ein kleines Bündel aus Stoff. Das legte er neben sich auf die Theke. Francis ließ sich von ihm küssen, auf wenn es kein jugendfreier Kuss in der Öffentlichkeit war. Der Barkeeper wandte sich jedenfalls distingiert von den beiden ab, vielleicht, weil er sich sogar davon angewidert fühlte.

„Was hast Du da?“, fragte Francis mit einem Blick auf das Stoffbündel neben Daniel. Er hob kurz das eine Ende des Stoffs hoch und gab den Blick auf eine schwarz-lackierte Glock 38 mit Kaliber .45 frei.

„Wo hast Du die denn her?“

„Von einem Typen aus D.C. Jetzt, wo Ralph nicht mehr ist, brauche ich jemanden, der auf mich aufpasst!“ Bregg grinste schief und wies mit seinem Blick auf die Pistole und deckte sie wieder zu. Zur Bestätigung tätschelte er zärtlich das Stoffbündel.

„Wen willst Du denn diesmal umlegen?“, fragte Francis und nuckelte weiter an ihrem Strohhalm. Doch Daniel Bregg schwieg. Er hatte Francis gegenüber auch geschwiegen, als er etwa eine Stunde vor dem Mord an Ralph Denner das Cave’s Inn verlassen hatte und schon zu Hause war, als Francis vom Tatort zurück war.

„Ich hoffe, Du hast das richtige gesagt, bei den Bullen, sonst …“

Er hatte eine Geste gemacht, die für Francis unheimlich war. Und er hatte eine neue Waffe geholt. Sicherlich war sie nicht registriert. Bregg hatte immer nur frische, nichtregistrierte Waffen, dafür hatte er seine Quellen in D.C.


Tolis hatte sich in sein Büro zurückgezogen, ließ aber die Jalousie aufgeklappt. Er wollte in Ruhe nachdenken. Er hatte einen neuen Bericht der Spurensicherung vor sich auf dem Bildschirm. Insgesamt hatte man neun Patronenhülsen aufgesammelt. Beide stammten von Berettas Kaliber .38, wie sie auch von der Polizei in Virginia verwendet wurde. Im Internet konnte man sie jedoch jederzeit bei Händlern bestellen. Man musste nur persönlich beim Händler vorbeigehen, seinen Führerschein oder seine ID-Card vorlegen und eine Erklärung unterschreiben. Dann dauerte es noch einmal bis zu sieben Tage und der freundliche Bote von irgendeinem Lieferdienst brachte einem ein kleines, anonym zugeschicktes Päckchen mit der Waffe. Und natürlich auch die Munition, die man dazu bestellt hatte. Wie viele davon natürlich tatsächlich im Umlauf waren, konnte niemand mit Gewissheit sagen. Jedenfalls tickte nun für Tolis und sein Team die Uhr. Und alles nur wegen dieser Aussage von Elias Herbert, dem Türsteher vom Cave’s Inn. Er will Kubaner gesehen haben. Dabei konnte man getrost davon ausgehen, dass er das nur gesagt hatte, weil ihm davor etwas dafür angeboten wurde, was er nicht ablehnen konnte. Die Falschaussage entsprang jedenfalls nicht seiner Inspiration, davon war Tolis überzeugt. Aber nun stand sie so in der Akte.

Das Problem war nur, das Tolis Elias Herberts Aussage nicht beweisen konnte und Elias Herbert genauso wenig. Er nahm sein Telefon in die Hand und wählte die Nummer vom Empfang und gab den Befehl, man möge Elias Herbert wieder laufen lassen und ihn bitte nach Hause bringen. Aber so, dass man das auch sehen konnte.

Gerade hatte er aufgelegt, als er von Preston einen weiteren Bericht auf seinen Bildschirm bekam. Die vier Kugeln, die Denners Brust durchschlagen hatten, gehörten eindeutig zu den Patronenhülsen der Berettas vom Typ .38, die man vor dem Cave’s Inn aufgesammelt hatte. Die Kugeln stammten aus nichtregistrierten Waffen. Aussichtslos, jemals die dazu gehörigen Berettas zu finden. Mögen sie in den Sümpfen der Ewigkeit ruhen.

„Mr. Herbert wollte keinen Fahrdienst. Er ist mit dem Taxi nach Hause gefahren“, sagte Preston, als er in Tolis‘ Büro kam.

„Haben wir schon was über die beiden Frauen?“

Preston schüttelte den Kopf. Tolis ließ sich seufzend in die Lehne fallen, schloss die Augen und blieb einen Moment so sitzen, während Preston auf irgendeine Reaktion wartete.

„Wir sollten nach allen schwarzen Merc-Classic’s der Baujahre 1991 bis 1998 suchen, die in Manassas und im Prince William County zugelassen sind. Mehr als hundert werden es wohl nicht sein.

„88 um genau zu sein“, sagte Preston. „Ich habe drüben schon die Liste von der Zulassungsstelle.“

Tolis griff wieder zum Telefon und rief bei Captain Bensson an.

„Captain, hier Tolis. Wäre es möglich, dass Sie Ihre Leute anweisen, auf ihren Streifen alle schwarzen Merc-Classic-Limousinen der Baujahre 1991 bis 1998 anhalten und die Fahrer und Halter überprüfen. Mich interessieren vor allem die Fahrer.“

„Ja, kann ich raus geben. Sollen wir sie auch verhaften?“

„Nein, nur die Führerscheine und Gesichter fotografieren.“

„In Ordnung. Schon was Neues im Fall Denner?“

„Nein, aber ich habe eine Vorahnung.“


Nach der Mittagspause fuhr Tolis ins La Quintana’s Inn, das moderne Hotel in der Nähe des Regionalflughafens von Manassas. Das La Quintana’s Inn hatte eine Bar, in der sich Crews von privaten Fluglinien, mit ihren schicken Gechäftsreise-Jets und Geschäftsleute, die Manassas besuchten aufhielten. Vielleicht traf er ja hier auf Hispanos, mit denen er Kontakt aufnehmen konnte. An der Bar setzte er sich in die Nähe der Kasse und nickte Rogér, dem schweizerischem Barkeeper grüßend zu. Der Barkeeper war kanadischer Staatsbürger aus Montreal, kam aber ursprünglich aus Zermatt, wo er früher im Familienhotel gearbeitet hatte.

„Was darf’s sein, Mr. Tolis?“

„Irgendwas ohne Alkohol, ich bin dienstlich hier.“

„Oh, selbstverständlich. Einen Virgin Strawberry?“

„Sehr gerne.“

Zwei Piloten in ihrer schicken Uniform setzten sich gerade ans andere Ende der Bar. Mit einem entschuldigenden Blick wandte sich Rogér seinen neuen Gästen zu. Nachdem er sie bedient hatte, kehrte er mit Tolis‘ Virgin Strawberry zurück.

„Haben Sie in letzter Zeit Hispanos hier gehabt?“

„Kann möglich sein. Ich war aber nicht die ganze Zeit hier.“

„Ihre andere Bedienung …“

„Sie meinen Isabelle?“

„Ja.“

„Ich werde Sie heute Abend fragen.“

Tolis reichte ihm eine Visitenkarte mit seiner Nummer vom Diensthandy und seinem privaten Handy.

„Sie darf mich Tag und Nacht auf meiner privaten Nummer anrufen. Aber nur dienstlich!“

„Selbstverständlich.“


Als Tolis wieder im Auto saß, rief er bei der County Police vom Prince William County an. Er verlangte gleich nach dem Chief. Chief Arthur McDonnell war schon an die sechzig, hatte einen Bierbauch und hinter seinem Fu Mancho verbarg sich Verbissenheit, gepaart mit einer winzigen Priese Mitgefühl. Tolis hatte das Bild seiner Gesichtszüge deutlich vor sich, als McDonnell den Hörer abnahm.

„Hallo, hier ist Tolis.“

„Was gibt’s denn, Kollege. Läuft alles bei der City Police?“

„Ich denke schon. Aber ich könnte Unterstützung durch das County gebrauchen. Bei dem drive by vor dem Cave’s Inn in der Nacht, wurde eine schwarze Mercedes-Classic-Limo Baujahr 1991 bis 1998 verwendet. Ich lasse hier im Stadtgebiet alle anhalten, kontrollieren und die Führerscheine und Gesichter der Insassen ablichten.“

„Was aber Risiken in sich birgt. Das wissen Sie schon?“

„Wir lassen unsere Leute nach so einem drive by sowieso nur in Weste und Sicherung durch einen dritten Officer raus.“

„Gut so, das sollte man in Virginia überhaupt zum Standard machen. Und ich soll ebenso verfahren und Ihnen die Fotos schicken?“

„Das wäre genau das, was ich brauche.“

„Machen wir.“

„Danke.“

Es war gut, Arthur McDonnell auf seiner Seite zu wissen. Doch was konnte er jetzt noch tun? Däumchen drehen lag ihm überhaupt nicht.


Als endlich Feierabend war, schnappte sich Tolis sein Lunchpaket, das er immer noch nicht angerührt hatte und ließ sich von Hanson nach Hause fahren. Als erstes schaltete er seinen Fernseher an und war erstaunt, dass der Lokalsender im TV WJLA den Muskelmann aus Buckhall als den neuen Anführer der Manassas Melicia präsentierte: Daniel Bregg, Alter 33 und schon zweimal wegen Mord und Körperverletzung angeklagt, aber wie durch Zauberhand wieder freigesprochen. Er saß wegen anderer Delikte neun Monate im Prince William County Adult Detention Center. Er wurde aber wieder wegen guter Führung entlassen. Der TV-Sender zeigte Breggs Gesicht minutenlang im Hintergrund.

Tolis rief gleich im Büro an; Bremmerton war noch da. Er solle nach allem suchen, was er über Bregg in Erfahrung bringen konnte. Und sich mit dem County und den Kollegen aus Buckhall in Verbindung setzen, um Bregg beschatten zu lassen.

Tolis fand es kontraproduktiv, dass man im Fernsehen das Thema Bandenkrieg ansprach. Das sollte nur Ängste schüren und die Leute vor den Fernseher zerren, um sie noch mehr mit Werbung bombardieren zu können.


Am nächsten Morgen kam Bremmerton direkt in Tolis‘ Büro.

„Bregg sitzt unten in der Zelle. Wir haben zwei leicht verletzte Officer von der Festnahme.“

„Wieso Festnahme?“

„Er hat randaliert und es sind zum Glück nur Schrammen.“

„Gut, dann bringen Sie ihn hoch und setzen Sie ihn ins Vernehmungszimmer.“

Tolis suchte nach seinen Notizen vom Vortag, dann machte er sich auf den Weg zum Vernehmungszimmer. Er ließ Bremmerton den Vortritt und wartete dann noch eine Weile vor der verschlossenen Tür, ehe er auch eintrat und sich neben Bremmerton setzte.

„Guten Morgen, Mr. Bregg. Sie wissen, wieso Sie hier sind?“

„Na, klar. Um mich zu schikanieren!“

„Nein, Mr. Bregg, nur um Sachverhalte zu klären.“

Bregg schwieg und starrte vor sich hin.

„Wo waren Sie gestern Morgen gegen zwei Uhr morgens?“

„Bin ich verhaftet?“

„Nein, Sie wurden hier her gebracht, um Sie befragen zu können.“

„Dann darf ich auch gehen?“

„Nein, weil Sie für Captain Bensson hier festgehalten werden. Widerstand gegen die Polizei. Der hat im Moment aber Wichtigeres zu tun, als Sie auf der Stelle festzunehmen und wegen Widerstand gegen die Staatsgewalt anzuklagen. Wir leisten hier nur Amtshilfe.“

Tolis sprach ruhig und besonnen weiter.

„Warum unterhalten wir uns denn nicht über gestern Morgen, solange wir auf Captain Bensson warten?“

„Ich habe aber keine Lust, mich mit Ihnen zu unterhalten, Nigger!“

„Wo waren Sie gestern morgen gegen zwei Uhr?“, wiederholte Bremmerton im schärferen Ton und mit Nachdruck.

„Ich war in unserem Camp in Buckhall.“

„Zeugen?“, fragte Bremmerton gleich.

„Meine Freundin Francis Sims.“

„Schreiben Sie mir hier Mrs. Sims Telefonnummer und ihre Adresse auf. Und dann sagen Sie mir, wie Sie von der Ermordung von Mr. Denner erfahren haben.“

Tolis schob ihm das Papier und einen Kugelschreiber zu. Bregg notierte alles und schob den Zettel zurück.

„Der Türsteher vom Cave’s Inn hatte mich in Buckhall angerufen. War’s das? Kann ich jetzt gehen?“

Tolis nickte. Bremmerton stand auf.

„Sie können gehen. Aber auf Wiedersehen!“


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